Klaus Fichtel: Als die “Tanne” vor 32 Jahren abtrat und Schalke gegen Bremen mit 1:4 verlor

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Klaus Fichtel: Als die “Tanne” vor 32 Jahren abtrat und Schalke gegen Bremen mit 1:4 verlor

Klaus Fichtel: Als die “Tanne” vor 32 Jahren abtrat und Schalke gegen Bremen mit 1:4 verlor. Von alten Männern und Teenagern in der Bundesliga

In der Bundesliga grassiert der Jugendwahn, sechs 17jährige kamen am ersten Spieltag zum Einsatz, fünf weitere scharren schon mit den Hufen. Frankfurts Makoto Hasebe könnte mit 36 Jahren ihr Vater sein, ist der Älteste und beinahe schon ein Kuriosum. Dabei ist er im Ranking der Ältesten nicht mal unter den top ten der Bundesliga-Historie.

Ganz oben steht einer, dessen Ex-Klubs am Samstag zum offiziellen „Topspiel“ angetreten ist, das doch ein Kellerderby ist. Und das vor 32 Jahren zufällig auch die Paarung war, an der er im biblischen Fußballeralter von 43 Jahren und 184 Tagen abtrat: Klaus Fichtel (75), genannt „Tanne“. So mancher fragte sich noch weit nach seinem Karriereende 1988: hat er die ewige Jugend? Wann kehrt er zurück? Noch mit 70 spielte er in Schalkes Traditionself, für eine Halbzeit reichte es immer noch.

Viel mehr trauten sie ihm schon 1980 auf Schalke, wo er 1965 seine Bundesliga-karriere startete, auch nicht mehr zu. Der neue Trainer Fahrudin Jusufi wollte einen Umbruch und sortierte den 35jährigen Ex-Nationalspieler, der 1970 an der WM in Mexiko teilnahm, aus. So weit, so normal. Doch er fühlte sich noch „zu jung“ um aufzuhören und fand in Otto Rehhagel in Bremen einen Trainer, der „keine jungen oder alten Spieler, sondern nur gute und schlechte kannte“. Es mangelte ja nicht an Beispielen. Hatte nicht der legendäre Stan Matthews in Englands Top-Liga noch bis 50 gespielt? War Italien nicht 1982 mit einem 40jährigen Torwart namens Dino Zoff Weltmeister geworden? Keine Bundesliga-Abwehr ohne einen alten Haudegen: „Ata“ Lameck in Bochum, Günter Sebert in Mannheim und Bernard Dietz in Duisburg, später Schalke – alle jenseits der 35. Es war noch eine Zeit, in der Trainer auf Erfahrung setzten. Bis 39 jedenfalls war Klaus Fichtel für Werder gut genug, er durfte sogar noch im Europapokal ran. Als er 1984 dann in Ehren verabschiedet wurde, ging er zu Schalke zurück – als Co-Trainer. Eigentlich. Fichtel: „Ich hoffe, dass Sie mich nicht mehr brauchen werden.“ Aber weil der Asket bei jedem Training und Waldlauf mithielt, wurde er schon bald rückfällig.

Sie baten ihn, noch mal einzuspringen, als sich die Innenverteidiger serienweise verletzten und mussten nicht lange bitten: „Ich habe ja alle Waldläufe und das Aufwärm-Training mitgemacht und wenn im Training eine ungerade Zahl war, auch bei den Spielchen. Ich war fit und habe immer professionell und solide gelebt.“ 1984/85 und 1985/86 kam er zu jeweils 13 Einsätzen und war nun der erste 40jährige der Bundesliga. Sie ehrten ihn im August gebührend beim nächsten Abschied. In einem Sulky durfte der Pferdenarr über die Tartanbahn des Parkstadions gleiten und in sein Publikum winken. Das war’s nun aber wirklich, oder?Mitnichten. Er war ja immer noch Schalker und noch da – als Co-Trainer. Im Jahr 1987 brauchten sie ihn zwar nicht, aber als die Rückserie begann, stand er am 17. Februar 1988 in der größten Personalnot plötzlich in Bremen (ausgerechnet) wieder auf dem Platz und verlor mit seinen Schalkern 0:5.

Die Fans verspotteten nicht ihn, sondern den Verein, und hängten ein Transparent auf: „Und wann kommt Kuzorra?“

Fichtels Frau schüttelte den Kopf und wollte wissen, warum er sich das immer noch antut, „ihr verliert ja doch immer“. Immer nicht, aber doch ziemlich oft – in sieben seiner letzten elf von 552 Bundesligaspielen ging Fichtel als Verlierer vom Platz. Und seine große Karriere, das hatte er nun wirklich nicht verdient, endete erstmals mit dem Abstieg.

Der stand am 21. Mai 1988, als endgültig Schluss mit der Bundesliga war, schon fest. Mit 43 Jahren und 184 Tagen stand Fichtel zum 552. und letzten Mal auf dem Platz, beim 1:4 gegen Meister Werder Bremen. Der Kicker gab ihm zum Abschied eine 2, „gut“ wie die ganze Karriere.

Das war schon damals eine irre Geschichte, die immer mal wieder erzählt werden muss, weil sie heute schier unmöglich ist. Allein die Vorstellung! Fichtels Seniorenrekord, darauf darf getrost gewettet werden, ist für die Ewigkeit. Aus vielen Gründen. Fichtel verbrachte seine uralten Tage auf dem Platz als Libero; ein Begriff, der heute aus dem Vokabular der Fußballlehrer verschwunden ist.Heute darf sich keiner mehr ein ruhiges Plätzchen suchen, geschweige denn Zweikämpfe tunlichst meiden.

Mag es auch bei vielen Vereinen brennen, die zweibeinige Feuerwehr auf dem Platz gibt es nicht mehr. Alle müssen verteidigen und das 90 Minuten lang, wenn sie nicht gerade angreifen. Dann wäre da die moderne Technik: Laufwege werden gemessen und auch unter der Woche darf sich keiner mehr ausruhen.

Längst ist es usus, dass das Training aufgezeichnet und ausgewertet wird. Zu Fichtels Zeiten konnte sich ein Stan Libuda noch beim Hürdenlauf im Wassergraben verstecken, nicht mal Max Merkel hat es gemerkt. Schlechte Zeiten für Schlitzohren. Drittens: die gestiegene Belastung: Klaus Fichtel hat später zugegeben, dass er zwei Spiele in der Woche nicht mehr geschafft hätte und auch das muss der Profi von heute können, gerade in der Corona-Saison jagen sich die Englischen Wochen.

Fichtel spielte noch in den letzten Tagen einer Ära, als so ein Rekord zwar sensationell, aber eben nicht unmöglich war. Auch der Bremer Mirko Votava knackte 1996 die 40er-Marke du wird wohl ewig ältester Torschütze bleiben. In diesen Tagen dagegen fallen fast wöchentlich die Jugendrekorde. Eigentlich eine erfreuliche Aussicht.


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