Liverpool und Klopp gedenken der größten Fußball-Tragödie
15. April 1989. Ein Datum, wie in Stein gemeißelt für den Fußball, wie ein Stich ins Herz für den FC Liverpool. An diesem verhängnisvollen Tag sterben bei einem Massen-Gedränge im Hillsborough-Stadion von Sheffield vor dem FA Cup-Halbfinale der ,,Reds” gegen Nottingham Forest 96 Menschen. Es ist eine der größten Tragödien im modernen Fußball. Eine Katastrophe, die diesen Sport verändert.
Jürgen Klopp (51) und seine Mannschaft haben den Fans des FC Liverpool vor diesem bedeutsamen Tag einen 2:0-Heimerfolg gegen den FC Chelsea beschert und die Chance gewahrt, zum 30. Jahrestag der Hillsborough-Tragödie die erste Meisterschaft in der Premier League an die Merseyside zu holen.Das gesamte LFC-Team und sein deutscher Trainer legen am Montagmittag gegen 12 Uhr an der Gedenktafel zu Ehren der 96 Opfer am Stadion von Anfield einen Kranz und Blumen nieder. ,,We never walk alone – Hillsborough”, so steht auf einem Banner, das Fans über die Gedenkstätte gehängt haben.
,,Dieser Tag gehört den 96″, schreibt die Zeitung Liverpool Echo. Um 15.06 Uhr rollen dann am Montag keine Busse und keine Bahnen. Die ganze Stadt steht still. 15.06 Uhr, dies ist der Zeitpunkt, an dem Schiedsrichter Ray Lewis vor 30 Jahren das Spiel angesichts der unglaublichen Tragödie auf den Rängen unterbrach.Rückblende: Das FA Cup-Halbfinale 1989 zwischen Liverpool und Nottinham Forest, dem großen sportlichen Rivalen der ,,Reds” aus den 1980er-Jahren, wird wie schon 1988 im Hillsborough-Stadion von Sheffield stattfinden. Es soll ein großes Spiel werden.
Gegen Mittag, so berichten Augenzeugen, herrscht rund um das Stadion „Vorfreude wie beim Karneval“. Der Andrang vor der Tribüne Leppings Lane ist riesengroß. Die kleinere der beiden Hintertortribünen ist für die Fangemeinde des FC Liverpool vorgesehen. Es ist etwa 13 Uhr, als die Zahl der ankommenden Liverpool-Fans im Bereich der Leppings Lane dramatisch zunimmt. Staus und Polizeikontrollen haben dafür gesorgt, dass viele Fanbusse erst mit erheblicher Verspätung eintreffen. Gegen 14.30 Uhr drängeln beinahe 10.000 Fußballfans aus Liverpool zu den Eingängen. Berittene Polizeibeamte versuchen, Ordnung in das Chaos zu bringen. Vergeblich. Drei Einlasstore mit sieben Drehkreuzen reichen nicht aus, um dem gigantischen Druck stand zu halten. „Die Organisation vor dem Stadion von Seiten der Polizei war einfach fürchterlich“, erinnert sich der Stadionbesucher Kenny Derbyshire im Ligalive.net-Rückblick, „es strömten immer mehr Leute hin, egal ob mit und ohne Karten.“ Die Bedingungen werden von Minute zu Minute schlimmer. Kein Wunder: Denn in diesem Eingangsbereich stehen auch die Liverpooler Fans, für die der Oberrang der West Stand reserviert ist. Gegen 14.30 Uhr hat David Duckenfield genug. Der verantwortliche Polizeidirektor ist zum ersten Mal mit einer der Einsatzleitung bei einem solchen Großereignis betraut – und offensichtlich überfordert. Er trifft eine fatale Entscheidung und lässt ein als Ausgang konzipiertes Tor öffnen.
Binnen kürzester Zeit gelangen nun hunderte von Zuschauern ins Stadioninnere. Kenny Derbyshire und seine Begleiter werden mit der Menge in einen engen Tunnel geschoben, der die Aufgänge mit den Stehplätzen verbindet. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Immer mehr Fans drängen durch den Tunnel auf die Ränge in die bereits hoffnungslos überfüllte Liverpooler Fankurve. Die im Tunnel feststeckenden Menschen geraten in Panik, viele von ihnen werden einfach zu Tode gedrückt oder taumeln mit schwersten Quetschverletzungen ins Freie. Entgegen aller Bedenken der Ordnungskräfte wird das Spiel pünktlich um 15 Uhr angepfiffen. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf den übrigen Tribünen richtet sich nun vollends auf das Spielfeld.Nur die wenigsten begreifen die Tragödie, die sich zur gleichen Zeit im Unterrang abspielt. Durch den Druck aus dem Tunnel werden die Fans, die sich bereits im Stadion befinden, an die eisernen Gitter und Zäune gepresst, schnappen krampfhaft nach Luft. Der Block „Pen 3“, in den die nachdrängenden Zuschauer gelangen, wird zur Todesfalle. Hier sterben um kurz vor 15 Uhr die ersten Menschen an Kreislaufversagen oder Atemstillstand. Kenny Derbyshire hat Glück. Von der Masse aus dem Tunnel zu „Pen 3“ herausgedrängt, wird er von Zuschauern, die das Chaos vom oberen Teil der Tribüne aus verfolgen und die Situation blitzschnell erfasst haben, nach oben gezogen – und gerettet.
Die Spieler beider Teams begreifen das Ausmaß der Katastrophe erst in den Kabinen. Die Folge: Nach dem Unglück empfiehlt die als ,,Taylor-Report” bekannt gewordene, offizielle Untersuchung durch Peter Murray Taylor, Baron Taylor of Gosforth neben dem Ausschankverbot alkoholischer Getränke u. a. auch die Reduzierung der Stehplätze in britischen Stadien. Zwar werden die Stehränge nicht generell als Sicherheitsrisiko eingestuft, doch die britische Regierung entscheidet 1993 die konsequente Abschaffung. Ein gravierender Einschnitt in die britische Fußballkultur.Es dauert, bis Liverpools legendärer Spielertrainer Kenny Dalglish über das Unglück von Hillsborough spricht. Erst 20 Jahre nach der Tragödie bricht der Schotte in einem BBC-Interview ihr Schweigen.
„Es wäre das Einfachste gewesen, den Anstoß nach hinten zu verlegen“, sagt Dalglish, „das hätte keine Problem gegeben – wenn die Polizei und die FA mit uns gesprochen hätten.“ Für Kenny Dalglish ist klar: „Hillsborough war ein Ereignis, von dem sie jeder wünscht, dass es niemals passiert wäre, aber es ist sollte auch niemals vergessen werden.“
Liverpool rückt zusammen. Lokale Musikergrößen wie die Soul-Band The Christians, Sänger Holly Johnson (Frankie goes to Hollywood), Ex-Beatle Paul McCartney und Gerry Marsden (Gerry and The Pacemakers) nehmen die Hymne Ferry Cross The Mersey zugunsten der Opfer und ihren Familien neu auf. Der Song steht in diesen traurigen Tagen in der Fan-Gunst sogar vor der Vereinshymne „You`ll never walk alone“ und behauptet drei Wochen lang auf Platz 1 der britischen Charts.
Direkt betroffen von der Katastrophe ist auch die Familie eines der größten Spieler des FC Liverpool. Steven Gerrard verliert bei dem Stadion-Unglück seinen erst 10 Jahre alten Cousin Jon-Paul Gilhooley. Er ist das jüngste der 96 Todesopfer. Gerrard widmet ihm seine gesamte Karriere.