Der Weltmeister, der Bayern absagte

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Der Weltmeister, der Bayern absagte

Er ist der deutsche Fußballer, der an seinem Geburtstag Weltmeister wird. Jürgen Grabowski darf am 7. Juli 1974 gleich doppelt feiern – an seinem 30. Geburtstag holt er mit Deutschland in München den 2. WM-Titel. Am Sonntag wird die Legende von Eintracht Frankfurt 75 Jahre alt.

,,Vor 5 Jahren haben wir noch groß gefeiert”, verrät Jürgen Grabowski in einem Interview im Kicker-Sportmagazin (Donnerstag) zu seinem 75. Geburtstag, ,,Heribert Bruchhagen hat sich darum gekümmert und es war sehr schön, doch ab jetzt wird nur noch mit meiner Frau gefeiert.”

Dabei könnte bei allem Respekt selbst das Fest zum 75. nicht die Party vom 7. Juli 1974 toppen. ,,Grabi”, wie die Frankfurter Fans den kongenialen Mittelfeldspieler liebevoll nennen, und sein Eintracht-Teamkollege Bernd Hölzenbein (,,Holz”) sind an den beiden deutschen Treffern von Paul Breitner und Gerd Müller beteiligt.

Hölzenbein sorgt im Finale gegen die Niederlande (2:1) mit einem Faller, den viele Fans bis heute als ,,Schwalbe” abtun, für den Elfmeter, den Breitner zum 1:1 verwandelt.

Nach 43 Minuten bricht Grabowski auf der rechten Angriffsseite kraftvoll durch, sieht Rainer Bonhof und dessen Zuspiel verwertet Gerd Müller in seiner unnachahmlichen Art mit einem Drehschuss zum 2:1. ,,Dieser 7. Juli 1974 war schon besonders”, erinnert sich Grabowski, ,,ich muss daran denken wie ich als 10-Jähriger in Biebrich vor einem Radio- und Fernsehgeschäft durch die Scheibe das Finale von 1954 sah. Da spielte ich in einem kleinen Verein und träumte nach dem WM-Sieg davon, wie das wohl wäre, wenn man selbst so etwas erreichen würde wie Fritz Walter und die Anderen. Das waren oft nur Sekunden, aber der Traum kam immer wieder.”

Am 7. Juli 1974 wird er wahr – Weltmeister am Geburtstag, mehr geht nicht, oder? ,,Also damals, als ich den Pokal in die Hand genommen habe”, verrät Grabowski in einer Dokumentation des Hessischen Rundfunks zu seinem 75. Geburtstag, ,,dachte ich: Die Welt gehört dir.”

Stimmt schon, aber in der deutschen Nationalmannschaft rumort es nach dem Triumph von München gewaltig. Es gibt Zoff ums Sieger-Bankett, Paul Breitner und Gerd Müller erklären noch in der Nacht ihren Rücktritt aus dem DFB-Team. Einen großen Bahnhof am Frankfurter Römer oder gar einen Triumphzug wie 1954 durch verschiedene deutsche Städte gibt es nicht. Nur die Stadt Frankfurt ehrt ihre beiden Weltmeister Grabowski und Hölzenbein sowie Bundestrainer Helmut Schön mit einem Empfang am Römerberg. ,,Man ist sich gar nicht so 100-prozentig bewusst, was es bedeutet, Weltmeister zu sein”, sagt Grabowski, ,,man ist bemüht, das herunterzuspielen und nicht so auf den Putz zu klopfen.”Das hat Grabowski selbst auch nie gemacht. ,,Er war ein konservativer, bodenständiger Spieler”, erinnert sich sein ehemaliger Coach Erich Ribbeck (82), der 1968 an den Riederwald kommt, ,,der für mich als junger Trainer, der ich damals war, angenehm zu führen war.”

Der geniale Techniker und Rechtsaußen holt mit Eintracht Frankfurt 2-mal den DFB-Pokal und 1980 den UEFA-Pokal. Kurios: Den Pokalsieg von 1974 gegen den Hamburger SV feiert Grabowski als einziger Eintracht-Spieler im gegnerischen Trikot mit dem Werbe-Schriftzug eines Spirituosenherstellers. ,,Die Firma Campari”, sagt Grabowski 2019 trocken, ,,hat sich natürlich riesig gefreut.” In 441 Bundesliga-Spielen für die SGE erzielt er 109 Tore. Er wird später Ehrenspielführer der Frankfurter, für die er bis heute als Markenbotschafter arbeitet und er gehört zu den ,,12 Säulen der Eintracht”, jenem Dutzend Legenden, die auf überdimensionalen Bildern die U-Bahn-Station am Willy-Brandt-Platz in der Hessen-Metropole zieren. Die Frankfurter Band Tankard hat ihm sogar einen eigenen Song gewidmet (,,Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehen – mit dem Jürgen”). Im Videoclip dazu greift Grabowski dazu etwas ungelenk zur E-Gitarre. Nein, das ist nicht seine Bühne. Aber. Dass er diese immens hohe Popularität in Frankfurt bis heute genießt, liegt an einer ungewöhnlichen Absage. 1968 gibt Grabowski dem FC Bayern München einen Korb.

,,Ich hatte ein Angebot von Bayern München”, erzählt Grabowski dem HR 3, ,,während des Gesprächs mit Eintracht-Präsident Rudi Gramlich rief Robert Schwan, der Manager von Bayern, an. Gramlich sagte ihm. Nein, der Grabowski wird nicht verkauft – und ich bin ehrlich froh, dass er dies gesagt hat, denn so konnte für mich das normale Leben weiter gehen.” Frei nach dem serbo-hessischen Philosophen Dragoslav Stepanovic: ,,Lebbe gehd weider”…Der Clou: Ab dem 13. November 1971 (3:2) wird Grabowski nie wieder ein Heimspiel mit der Eintracht gegen die Bayern verlieren.

,,Gramlich sagte dem FC Bayern, dass sein Star mehr wert ist , als das Geld aus München”, so Grabowski weiter. So geht es für ihn in Frankfurt, wo ihm die Fans zu Füßen liegen, bis 1980 weiter. ,,Grabi” auf Tuchfühlung mit wartenden Eintracht-Anhängern vor einem Spiel gegen den FC Bayern (2:1), 1977 haben solche, von Reporter-Legende Holger Obermann eingefangene Bilder noch absoluten Seltenheitswert! In der Nationalmannschaft macht Grabowski nach dem WM-Finale 1974 (wohl zu früh) Schluss. Als ihn Helmut Schön vor der Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien zurückholen will, ist die Frage nach dem Comeback von ,,Grabi” so bedeutend wie die, ob Manuel Neuer 2018 im Tor stehen soll. Heute undenkbar: Reporterlegende Rudi Michel erreicht Grabowski nach seinem Besuch bei Helmut Schön dazu live während einer TV-Sendung am Telefon und fragt direkt: ,,Spielen Sie oder spielen Sie nicht?” Er tut es nicht. ,,Ich habe diese Entscheidung getroffen, das ist mir manchmal schwer gefallen, ich weiß nicht, ob es richtig war”, sagt er im Rückblick. Nach Argentinien fährt er nur als Kolumnist. Die große Karriere des Jürgen Grabowski endet am 15. März 1980, nach einem folgenschweren Foul eines gewissen Lothar Matthäus von Borussia Mönchengladbach. Darüber schmollt Grabowski bis heute: ,,Mich hat geärgert, dass Matthäus sagte, ich wäre nur scharf auf die Invaliditätsauszahlung. Eine Frechheit! Das mag eine Dummheit gewesen sein, aber ich habe nie einen Antrag gestellt, weil ich sowieso aufhören wollte.”


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