Ex-BVB Trainer Thomas Tuchel: Charme-Offensive in Paris
Die Halbjahresbilanz des deutschen Trainers von Paris St.-Germain fällt positiv aus. Der frühere Dortmunder Coach hat sich bei PSG zum echten Star-Dompteur aufgeschwungen – und die Herzen der kritischen französischen Fans erobert.
Es gibt sicherlich leichtere Aufgaben im Trainergeschäft als den Job beim 904 Millionen Euro teuren Star-Ensemble von Paris St.-Germain.
Thomas Tuchel (45), erster deutscher Coach bei dem von katarischen Geldgebern finanzierten französischen Hauptstadtklub, wird beim Amtsantritt im Sommer 2018 kritisch beäugt.
Inzwischen hat der frühere Trainer von Borussia Dortmund PSG in der Erfolgsspur gehalten – und er moderiert das Star-Ensemble mit viel Fingerspitzengefühl für die Befindlichkeiten des zerbrechlichen brasilianischen Fußball-Heilands Neymar und anderer, starker Charaktere im Team.
Paris St.-Germain ist anders als vergleichbare Spitzenklubs in Europa. Nirgends wird mehr Return of Invest erwartet, als an der Seine.
Die Marschrichtung der Investoren vom Golf ist klar: Der Champions-League-Titel soll her. In der Gruppenphase der „Königsklasse“ hat sich PSG mit Tuchel am Ende gegen den FC Liverpool und Jürgen Klopp (51) durchgesetzt. Nun geht es im Achtelfinale am 12. Februar 2019 gegen Manchester United gegen einen vermeintlich leichten Gegner.
Aber Vorsicht: Der englische Rekordmeister hat mit seinem neuen Coach Ole Gunnar Solskjaer in die Erfolgsspur zurückgefunden! Die Pariser sind zudem im letzten Jahr im Champions-League-Achtelfinale an Serien-Sieger Real Madrid gescheitert. 2017 erleben sie nach 4:0 im Hinspiel gegen den FC Barcelona ein historisches Debakel – 1:6 und erneut „Aus“ im Achtelfinale!
Das soll sich mit Tuchel nicht wiederholen.Paris, das kann man nach einem halben Jahr Amtszeit schon sagen, erlebt einen ganz anderen Thomas Tuchel, als man ihn aus seinen Engagements bei Borussia Dortmund und bei Mainz 05 kennt.
Irgendwie lockerer und nahbarer. Nach dem Gewinn des Supercups am 4. August 2018 gegen Monaco (4:0) schnappt sich Tuchel das Mikrofon und stimmt den Song „Happy“ von Pharell Williams an.
Eine Einlage, die bei Borussia Dortmund fast undenkbar gewesen wäre. Aber: Paris sieht auch den ehrgeizigen und nach Niederlagen ungenießbaren Tuchel.
Dass zwischenzeitlich das „Aus“ in der Champions-League-Vorrunde droht, dass er unter immensem Druck steht, lässt sich Tuchel anmerken. „Wenn wir scheiße spielen, dann spielen wir scheiße“, schimpft er nach der Last-Minute-Pleite (2:3) am ersten Spieltag beim FC Liverpool und seinem Vorgänger in Dortmund, Jürgen Klopp. Im Rückspiel dreht sein Team das Ding noch um: 2:1 und mit einem 4:1-Erfolg bei Roter Stern Belgrad letztlich doch noch Sieger der Gruppe C mit den „Reds“, dem SSC Neapel und dem serbischen Vorzeigeklub.Das beschwichtigt die PSG-Bosse für den Moment, mehr aber auch nicht.
„Für mich ist mein Trainer der beste Trainer der Welt“, sagt PSG-Boss Nasser Al-Khelaïfi nach dem prestigeträchtigen Sieg gegen Liverpool und Klopp. Solche Sätze sind so lange gut, wie Tuchel Erfolg hat. Er weiß, dass die Erwartungen bei den Investoren hoch sind – und er ist gut vorbereitet in diese schwierige Mission gestartet.
Seine akribische Arbeit, die mitunter etwas humorlos daherkommt, die aber unter dem Strich erfolgreich ist, – PSG steht mit 13 Punkten Vorsprung vor dem OSC Lille in der Ligue 1 über den Dingen – kommt auch bei der kritischen französischen Presse an. „Thomas Tuchel setzt sich als bester Trainer dieses ersten Teils der Saison durch“, bilanziert unlängst die französische Fußball-Bibel L'Équipe. PSG wird von der Zeitung schon als „die möglicherweise beste französische Mannschaft der Geschichte“ gerühmt. Die Stellung des Hauptstadtclubs in der Ligue 1 sei schon keine Dominanz mehr, sondern „absolute Herrschaft“.
Die sonst nicht zu Jubelstürmen neigende Tageszeitung Le Monde sieht es ähnlich. „Mit Strenge, Charakter und auch Verbundenheit mit seinen Spielern“, führt Tuchel das Star-Ensemble mit dem nicht immer pflegeleichten Fußball-Transferweltrekordler Neymar und dem unbekümmerten französischen Weltmeister Kylian Mbappé. Im sprach- und stilbewussten Frankreich wird dem asketisch wirkenden Coach zudem hoch angerechnet, gut Französisch zu sprechen. „Erfolg hat viele Gesichter und wir haben hohe Ziele“, sagt er während seiner Eröffnungsrede auf Französisch. Es sei aber noch zu früh, über Siege und Titel zu sprechen. Erst muss Paris die Achtelfinal-Hürde in der Champions League meistern. Der französische Vorzeigeklub hat seit der Übernahme durch das Konsortium aus Katar (2011) noch nie das CL-Halbfinale erreicht.