WM: Vor 25 Jahren – Der Fingerzeig von Fußballstar Stefan Effenberg
Vor 25 Jahren: Bundestrainer Berti Vogts schickt Superstar Stefan Effenberg bei der WM vorzeitig nach Hause
Effenberg zeigt deutschen Fans den ,,Stinkefinger”
Heute ist der Ex-Bayern-Star profilierter Kritiker – auch der NationalmannschaftWas für eine Quälerei! Im Glutofen des Cotton Bowl von Dallas hat es am 27. Juni 1994 auf dem Rasen 38 Grad.
Gefühlt ist die Atmosphäre noch überhitzter. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft rumpelt als Titelverteidiger mehr schlecht als recht durch die erste WM-Endrunde in den USA. Einem schmalen 1:0 im Eröffnungsspiel gegen Bolivien folgt ein 1:1 gegen Spanien. Zuvor hat man mit den Village People mit ,,Far away in America” den bis heute letzten Nationalmannschafts-Song aufgenommen. Trotzdem will sich in den USA kein richtiges ,,Soccer-Fever” einstellen.
,,Guten Fußball gibt es dann, wenn die Deutschen frei haben”, lautet nur ein spitzer Kommentar zu den Darbietungen der in die Jahre gekommenen Weltmeister, die sich mitunter über den Platz schleppen und die in BVB-Regisseur Matthias Sammer und dem Lauterer Martin Wagner zu wenig frisches Blut haben.
Einer, der es eigentlich schon 1992, bei der durch das 0:2 im Finale gegen Dänemark zur Enttäuschung gewordenen EURO in Schweden hätte richten sollen, bleibt vieles schuldig. Es ist Stefan Effenberg (25) vom AC Florenz.Der ehemalige Star des FC Bayern München, der im Sommer 1994 zu Borussia Mönchengladbach zurückkehren wird, hat seine mondäne Ehefrau Martina und die Kinder mit ins Team-Hotel gebracht.
,,Unsere Effenbergs” sorgen für einige atmosphärische Störungen. ,,Um den Kinderkram soll sich Berti Vogts kümmern”, hat Rudi Völler keine Lust, den Aufpasser zu spielen. Zuvor haben die Effenbergs ein paar Mal das kalte Buffet abgeräumt. So geht es dahin. Einmal dem Lagerkoller verfallen, holen die deutschen Weltmeister zum Rundumschlag aus. ,,Die meisten Journalisten”, giftet WM-Siegtorschütze Andy Brehme, ,,haben sowieso keine Ahnung von Fußball.” Weltmeister Thomas Berthold erinnert sich 2006 im WM-Buch Der Fußball erobert die neue Welt (Weltbild): ,,Wir haben 1994 in den USA eine ganz große Chance verschenkt, wir haben nicht den Weg zu einer wirklichen Mannschaft gefunden, wie wir das gebraucht hätten, leider. Es wäre möglich gewesen, den Titel auf einem anderen Kontinent zu verteidigen.”
Der ganze Frust gipfelt in der Nicht-Leistung von Dallas, als die deutsche Mannschaft gegen Südkorea im 3. Gruppenspiel einen sicher geglaubten 3:0-Vorsprung, herausgeschossen durch Jürgen Klinsmann (2 Tore) und Karl-Heinz Riedle, beinahe noch verspielt. 3:2 am Ende. Stefan Effenberg hat – wie die gesamte DFB-Auswahl – keinen guten Tag. Er bleibt auch in seinem 3. und letzten WM-Spiel ohne Torerfolg, gestikuliert, schreit – und wirkt doch am Ende ratlos.
Die deutschen Fans, die mit ihrem Team im Cotton Bowl in der texanischen Metropole schmachten, haben irgendwann genug. ,,Effenberg raus”, schallt es von den Rängen.In der 75. Minute hat auch Berti Vogts ein Einsehen mit dem gescholtenen Star.
Er holt den nicht überzeugenden Effenberg für Thomas Helmer vom Platz. Es läuft die 75. Minute. Dann ereignet sich eine Szene, die von keiner Kamera eingefangen wird. Heute wohl unmöglich. Effenberg zeigt den deutschen Fans bei seinem Abgang den ,,Stinkefinger”. Diese obszöne Geste wird ihn noch am Abend die WM kosten. Sobald der Skandal ruchbar wird, bleibt Berti Vogts keine andere Wahl. Er schickt Effenberg als 2. deutschen Spieler nach Uli Stein 1986 bei einer Weltmeisterschaft nach Hause. Der Hamburger hat Teamchef Franz Beckenbauer, den alle nur Franz nennen, 6 Jahre zuvor in Mexiko einen ,,Suppenkasper” genannt und muss danach die Koffer packen. Eike Immel übernimmt…
,,Unsere Effenbergs” denken aber gar nicht daran, aus den USA abzureisen. Sie bleiben und verkaufen die Geschichtchen rund um die verkorkste deutsche WM in Amerika, die blamabel im Viertelfinale gegen die No-Namovs aus Bulgarien endet, dem Boulevard. Mit einigen Details zum Kopfschütteln. ,,Bonhof”, so Effenberg über den DFB-Co-Trainer und passionierten Kontroletti, ,,horchte an der Tür.”
Ein Jahr später räumt ,,Effe” ein, dass die Sache mit dem Stinkefinger wohl ein Fehler war. ,,Damals, als ich diese dämliche Aktion mit dem Stinkefinger gebracht habe, da hätte ich mir Rückendeckung vom DFB gewünscht“, erzählt er dem SPIEGEL. Die bekommt er, allerdings erst Jahre später, als Berti Vogts selbst unter Druck steht. Nach dem erneuten WM-Aus im Viertelfinale holt Vogts Effenberg kurzfristig in die Nationalmannschaft zurück. Eine Verzweiflungstat! Von großer Dauer ist dieser Burgfriede nicht. Am 5. September 1998 macht der inzwischen wieder für Bayern München tätige Stefan Effenberg sein 35. und letztes Länderspiel für Deutschland. Im Juli 2000 kann ihn auch Völler nicht zu einem Comeback überreden. So bleibt am Ende nur der Stinkefinger, der unrühmliche Fingerzeig eines Superstars.