WM Skandale: Stefan Effenberg – Fingerzeige einer Reizfigur
Stefan Effenberg flog bei der WM 1994 aus dem Team, nachdem er Fans den Stinkefinger zeigte. Es war das Ende der Nationalmannschaftskarriere von Effenberg.
Nein, eine glückliche Nationalmannschaftskarriere hat der ebenso begnadete wie streitbare Mittelfeldspieler Stefan Effenberg nicht gehabt. In seinem dritten Länderspiel in Nürnberg gegen Wales 1991 von den deutschen Fans gnadenlos und bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen, leistet sich „Effe“ bei der Weltmeisterschaft 1994 einen in der deutschen WM-Historie einmaligen Ausraster.
27. Juni 1994. Im Cotton Bowl von Dallas brennt die Luft förmlich. Anstoßzeit: 16 Uhr, es herrschen fast 50 Grad Außentemperatur. Rotschopf und Mittelfeldmotor Matthias Sammer, während der WM meist mit einem weißen Cowboyhut gesichtet, und seine Mitspieler scheint die Hitze zu lähmen. Es geht gegen den Außenseiter Südkorea. Den Asiaten scheint die Bullenhitze von Texas nichts auszumachen. Sie laufen wie ein Uhrwerk.
37 Minuten schaffen es die älter gewordenen Weltmeister, noch einmal groß aufzuziehen. Deutschland führt durch zwei Tore von Jürgen Klinsmann und Karl-Heinz Riedle mit 3:0. Seon-Hong Hwang und Myung-Bo Hong bringen Deutschland mit ihren Treffern nach dem Wechsel an den Rand des Remis und der Blamage. „Die sind total limitiert, die sind total limitiert“, fällt Co-Kommentator Karl-Heinz Rummenigge am ARD-Mikrofon nichts mehr ein.
Auch Stefan Effenberg hat im Glutofen von Dallas keine Idee mehr. Er gestikuliert, er brüllt, er sieht Gelb. Die meisten seiner Pässe sind Alibi-Zuspiele. Der zu diesem Zeitpunkt beim AC Florenz spielende Ex-Mönchengladbacher und Bayern-Profi gibt sich nicht einmal Mühe, seine akute Unlust auf diesen Sommer-Kick zu verbergen. Die deutschen Fans merken das. Sie haben keine Lust, allein zu schwitzen. Es gibt Pfiffe für den Blondschopf und „Effenberg raus“-Rufe. Nach 75 Minuten passiert es. Bundestrainer Berti Vogts wechselt Effenberg aus, bringt den Wahl-Münchner Thomas Helmer. Unbemerkt von den Kameras zeigt Effenberg bei seinem Abgang aus dem Stadion den mitgereisten deutschen Anhängern den gestreckten Mittelfinger. Ein Foto von der Aktion gibt es nicht. Braucht es nicht. Damit ist seine Nationalmannschafts-Laufbahn so oder so im Eimer.Berti Vogts reagiert – und wirft Effenberg nebst seiner mondänen Ehefrau Martina nach einem Telefonat mit DFB-Präsident Egidius Braun aus dem Kader. Auch das noble Golf-Hotel Oak Brook in der Nähe von Chicago, wo der DFB-Tross bei der WM in den USA Quartier bezogen hat, müssen unsere Effenbergs räumen. Für viele Nationalspieler ein Segen.
Effenbergs Kinder beim Abräumen des kalten Buffets oder tobend in der Hotelhalle, das ist für manchen Weltmeister zu viel. „Um den Kinderkram soll sich gefälligst Vogts kümmern“, hat Rudi Völler keine Lust auf Hobby-Pädagogik. Auch eine Jam-Session mit den Hannoveraner Hard-Rockern Scorpions kann nur kurz für Auflockerung sorgen. Da man gerade in Chicago ist, holt WM-Siegtorschütze Andreas Brehme mal eben die verbale Pumpgun raus und feuert wild drauf los. „Die meisten Journalisten“, philosophiert der Hamburger, „haben sowieso keine Ahnung von Fußball.“
In dieser von Anfang an überhitzten Atmosphäre dann noch die Effenbergs – das konnte nie gut gehen! „Einige Spieler wollten ihre Frauen bei allem dabei haben. Wir haben uns damals mit Kleinigkeiten aufgehalten“, erinnert sich Andy Möller später. „Die Spieler schraubten ihre Forderungen immer höher, und Berti Vogts sah einiges zu eng“, sagt der Europameister von 1996.
Nein, tut er nicht. Vogts handelt konsequent und schickt mit Effenberg nach Uli Stein (1986) den zweiten deutschen Nationalspieler vorzeitig bei einer WM nach Hause. Jedenfalls raus aus dem Hotel. Denn unsere Effenbergs denken gar nicht daran, nach Deutschland zu reisen. Sie quartieren sich im Hotel Residence, unweit des deutschen Quartiers ein – und plaudern los. Für 70.000 Mark verkaufen sie die Rauswurf-Story an ein Boulevardblatt. Mit teilweise bahnbrechenden Enthüllungen: „Bonhof horchte an der Türe.“ Für Berti Vogts steht spätestens nach diesen Indiskretionen gegen seinen Co-Trainer und langjährigen Weggefährten Rainer Bonhof fest: „So lange ich Bundestrainer bin, spielt Stefan Effenberg nie wieder für Deutschland.“
Effenberg und die Nationalelf – das passte einfach nicht
Malta, vier Jahre später. Stefan Effenberg sitzt am Tisch im Teamhotel der deutschen Nationalmannschaft bei der ominösen Länderspiel-Reise auf die Mittelmeerinsel. Anfang September 1998 sehen wir den unglaublichen Schlusspunkt mit zwei beinahe selbstredend schwachen Spielen gegen die Maltester und gegen Rumänien.
Der nach der verkorksten Weltmeisterschaft 1998 enorm unter Druck stehende Bundestrainer Berti Vogts hat den streitbaren Mittelfeldspieler in einem Verzweiflungsakt zurückgeholt. Dass Effenberg unter seiner Regie „nie wieder für Deutschland spielen“ sollte, hat er vergessen. Um sich im Amt zu halten, geht Vogts einen unglücklichen Pakt mit dem einst Geschassten ein. Effenberg hat Gladbach in einem Kraftakt vor dem Abstieg gerettet und spielt nun wieder beim FC Bayern München. Bei den Bayern ist „Effe“ zum „Cheffe“ geworden. 1999 wird er in Diensten des FC Bayern erstmals Deutscher Meister, 2001 wird er die Münchner zum ersten Champions-League-Titel nach 25 Jahren führen. Warum also kein Nationalmannschafts-Comeback nach einem in der deutschen WM-Geschichte einmaligen Fall? Der Skandalprofi von 1994 plant auch im DFB-Trikot einen Neuanfang.
Doch schnell stellen Stefan und Martina fest, dass sich in ihrer vierjährigen Abwesenheit von der DFB-Bühne rund um die Nationalmannschaft nur wenig verändert hat. Okay, die Scorpions waren nicht mehr im Teamhotel. Aber gar nicht geändert hat sich der deutsche Boulevard, mit dem die Effenbergs über Jahre ihre mitunter fragwürdigen Doppelpässe spielen. Dass BILD 2003 Effenbergs Autobiographie Ich hab’s allen gezeigt mit einer riesigen Werbekampagne anschiebt, muss man nicht gut finden. „Ich steige auf Malta bei 35 Grad aus dem Flugzeug aus, blauer Himmel, ich trage eine Sonnenbrille“, erzählt Stefan Effenberg im Oktober 1998 dem SPIEGEL, „am nächsten Tag lese ich in der Zeitung: Der trägt eine provozierende Sonnenbrille. Was, bitte schön, ist das, eine provozierende Sonnenbrille? Ich habe die seit fünf Jahren!“
Nein, Nationalmannschaft und Effenberg, das will auch im zweiten Versuch nichts werden. Zu lange ist er weg gewesen. Gut, er hat Thomas Berthold mal am Flughafen getroffen. Aber ansonsten bleibt der Fernseher aus, wenn Deutschland spielt, EM-Titel 1996 hin oder her. „Ich kenne Dinge, die mir mehr Spaß machen, als Fußball zu gucken“, sagt Effenberg. Zuhause in München erzählt er Martina: „Die mir damals das Messer in den Rücken getrieben haben, klopfen mir heute auf die Schulter. Das ist nicht mein Ding.“