Der Besuch des türkischen Präsidenten bei den deutschen Nationalspielern

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Der Besuch des türkischen Präsidenten bei den deutschen Nationalspielern

Das Treffen von Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan im Vorfeld der WM 2018 brachte den ersten Ärger im Team der deutschen Nationalelf.

Die Weltmeisterschaft 2018 ist noch nicht angepfiffen – da gibt es im Lager des Titelverteidigers aus Deutschland einen politischen Skandal.

Die deutschen Nationalspieler Ilkay Gündogan und 2 brav mit „für meinen Präsidenten, hochachtungsvoll“. In Leverkusen hat man für derartige Huldigungen kein Verständnis. Die deutsche Nationalmannschaft will sich hier am 9. Juni 2018 mit einem Erfolg gegen den ebenfalls bei der WM teilnehmenden 67. der FIFA-Weltrangliste aus Saudi-Arabien (2:1) in Richtung Russland verabschieden. Das Auswärtige Amt, so berichtet Team-Manager Oliver Bierhoff (50) vorab, habe dem DFB zu dem Freundschaftsspiel gegen den autoritären Golfstaat geraten. Beruhigend. Nicht, dass wir am Ende noch eine Diskussion um die Interpretation der Menschenrechte im Königreich aufmachen…

Als Bundestrainer Joachim Löw zu Beginn der zweiten Halbzeit Ilkay Gündogan für den Dortmunder Marco Reus einwechselt, kommt unerwartet Stimmung in die BayArena, die bei Länderspielen ein echter Gefühlsfriedhof ist. Die Fans pfeifen den Profi vom englischen Meister Manchester City gnadenlos aus. Sie haben es Gündogan nicht vergessen, dass er sich – mitten im Wahlkampf – mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ablichten ließ.

Sein „Komplize“, Mesut Özil vom FC Arsenal, verdrückt sich derweil auf der Reservebank. Der Mittelfeldspieler hatte sich mit Kniebeschweren für das letzte Testspiel des Titelverteidigers abgemeldet – und für Unverständnis gesorgt. Dass Co-Trainer Thomas Schneider versucht, die Fans zu besänftigen, ist ein netter Versuch. Sie pfeifen Gündogan dennoch aus.Oliver Bierhoff ist schon vor dem Spiel genervt. „Ihr beendet es doch nicht. Ihr bringt es doch jeden Tag wieder, weil ihr keine Themen habt“, giftet er vor dem Anpfiff in Leverkusen vor laufender Kamera gegen ARD-Moderator und den als Experten tätigen Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger. Basta-Politik statt Ursachenforschung.

„Dass ein Nationalspieler so ausgepfiffen wird, hilft keinem, es trifft nur die Mannschaft“, ist auch Löw hinterher pikiert. Die meisten Anhänger aber haben genug. Sie wollen sich nicht bevormunden lassen. Die Stimmung auf der Mission „Best NeVer rest“, dem fünften WM-Titel für Deutschland, ist schon vor dem Turnierstart gedrückt. Eigentlich ist das Ding jetzt schon durch.

Das wenig durchdachte Rührstück haben Gündogan und Özil schon drei Wochen vor diesem Spiel abgezogen. Am 13. Mai 2018 treffen sie Erdogan in London. Dass Gündogan nach dem Besuch bei „seinem Präsidenten“ kleinlaut erklärt, es sei „kein politisches Statement gewesen“, nimmt ihm keiner mehr ab. Wie soll man einen Besuch bei dem Despoten aus Ankara sonst werten? Özil dagegen schweigt sich aus. Beim traditionellen Medien-Tag des DFB-Teams im Trainingslager in Eppan in Südtirol fehlt er. Nie zuvor war ein Nationalspieler diesem Pflichttermin fern geblieben.

Hitzlsperger, selbst einst Profi auf der Insel, hat vor allem beim durch Abwesenheit glänzenden Wahl-Londoner Mesut Özil das Spielchen durchschaut: „Immer wenn es brenzlig wird, schiebt er die Verantwortung an sein Beraterteam ab. Die haben ihm geholfen als Marke zu wachsen. Aber wenn es unangenehm wird, ist er nicht in der Lage zu reagieren. Er ist viel rumgekommen und hat viel erlebt, aber seine Persönlichkeitsentwicklung hat nicht Schritt halten können.“

 

“Jungs, wer hat euch vor die Schüssel getreten?”

Der Besuch bei „ihrem Präsidenten“ – Gündogan und Özil sind beide in Gelsenkirchen geboren und besitzen ausschließlich die deutsche Staatbürgerschaft – wird zur Staatsaffäre. Erst lädt DFB-Präsident Reinhard Grindel die bösen Buben am Rande des Pokalfinales mit Eintracht Frankfurt und dem FC Bayern München (3:1) am 19. Mai ins Schloss Bellevue nach Berlin zum Rapport. Dann steigt auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein. So einfach machst du aus einer Verbandssache ein Politikum.

Gündogan bekennt sich im Gespräch mit ARD und ZDF zu den „deutschen Werten“. Weder von ihm noch von Özil gibt es jedoch eine kritische Äußerung gegenüber Erdogan, der sogar von den Vereinten Nationen wegen seiner Menschenrechtsverletzungen an den Pranger gestellt wird. „Es hat mich dann, ehrlich gesagt, auch ein bisschen ratlos gemacht“, sagt der erfahrene Politiker in einem ZEIT-Interview, „angesichts der Tatsache, dass Özil und Gündogan in Deutschland groß geworden sind, hätte es sie nicht überraschen dürfen, dass ihr Treffen mit dem türkischen Staatspräsidenten Kritik auslöst.“ Das hätte man sich irgendwie vorher denken können…

„Zwei türkischstämmige Fußball-Millionäre, die sich aufgrund der besseren Verdienstaussichten zu Beginn ihrer Karriere für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, lassen sich im türkischen Auslandswahlkampf mit dem türkischen Diktator Erdogan fotografieren – da möchte man bloß noch fragen: Jungs, wer hat euch denn vor die Schüssel getreten?“, fragt sich die Westdeutsche Allgemeine Zeitung etwa. „Demokratie muss auch Dummheit aushalten“, stellt die Schwäbische Zeitung fest, „Özil und Gündogan haben sich selbst – und allen anderen eigentlich bestens integrierten Doppelstaatsbürgern in Deutschland – einen Bärendienst erwiesen mit ihrer maximal unsensiblen Wahlkampfhilfe für Erdogan. Am Tag vor der WM-Nominierung kocht nun eine Integrationsdebatte wieder hoch, die die Nationalmannschaft eigentlich seit Jahren als unnötig demaskiert.“

Die Kritik kommt nicht nur aus Deutschland. Den in der westlichen Welt äußerst umstrittenen Erdogan zu treffen und ihm zu huldigen, kommt auch in Österreich schlecht an. Beim Testspiel Anfang Juni in Klagenfurt (2:1) pfeifen auch die österreichischen Fans Özil und Gündogan während der gesamten Spielzeit aus. Der Ex-Dortmunder Gündogan hat für dieses Fan-Verhalten eine einfache, aber wenig stimmige Erklärung: „Wer pfeifen will, ist frei in seiner Entscheidung. Da kann ja jeder machen, was er will.“ Der Eindruck drängt sich in der Tat auf, ja.