Garrincha – Die Schieflage seines Lebens

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Garrincha – Die Schieflage seines Lebens

Garrincha – Die Schieflage seines Lebens. Diese Fußball-Ikonen endeten tragisch

„Dieux du Brésil – Brasilianische Fußballgötter“, so lautet der Titel einer der bekanntesten Film-Dokumentationen von Jean-Christophe Rosé aus dem Jahr 2002 über Pelé und Garrincha. Der eine: Der strahlende, ewig Tore erzielende Edson Arantes do Nascimento, genannt Pelé. Der andere: Manuel Francisco dos Santos, genannt Mané Garrincha.

Er hat stets eine Schräglage. Aufgrund zweier krummer Beine. Das eine Bein ist zudem noch sechs Zentimeter kürzer als das andere Bein. Dadurch scheint es ständig so, als würde er gleich sein Gleichgewicht verlieren. Doch Garrincha fällt nie, oder erst dann, wenn die Gegner ihm mehrfach in die Beine getreten haben.

Manuel Francisco dos Santos hat in seinem kurzen Leben viele Namen bekommen, Garrincha, auf Deutsch „kleiner Vogel“, wird er wegen der Leichtigkeit seines Spiels genannt. Weil er von Geburt an ein O- und ein X-Bein hat, nennen sie ihn „Engel der krummen Beine“. Und als er berühmt wird, ist er der „Alegria de Povo“, die Freude des Volkes. Der Schriftsteller Nelson Rodrigues hat ihn in seinen Chroniken den „Charlie Chaplin des Fußballs“ genannt. Ungefähr so Slapstick mäßig sieht es auch aus, wenn man sich den tanzenden Außenstürmer in den wenigen alten Filmaufnahmen anschaut, die es von Garrincha gibt.

Meistens ist es der gleiche Trick: Er täuscht an, einmal, zweimal, wippt mit dem Oberkörper, springt vor und zurück, wartet ab, und plötzlich zieht er am Gegner vorbei. Manchmal hält er dann inne, damit ihn der Verteidiger wieder einholen kann, um einmal mit dem Ball um ihn zu kreisen und erneut an ihm vorbei zu flitzen. Garrincha ist ein „Malandro“, ein Schlitzohr, ein Schlingel – eine Figur, die im brasilianischen Fußball bis heute kaum wegzudenken ist. Spieler wie Edmundo und Romário gelten ebenfalls als „Malandros“.

Auch Josimar ist einer. Jener Rechtsverteidiger, der bei der WM 1986 aus dem Nichts auftaucht, zwei unglaubliche Tore fast von der Eckfahne erzielt und dann wieder aus dem Rampenlicht verschwindet und im Drogensumpf endet. Der Godfather aller „Malandros“ aber war und ist Garrincha, 1958 und 1962 mit Brasilien zwei Mal in Folge Weltmeister, Rechtsaußen von Botafogo in Rio, ein „Malandro“ und ein „Mulherengo“, ein ausgemachter Frauenheld, aus dem kleinen Städtchen Pau Grande. In Brasilien sagt man, Pelé werde zwar geschätzt. Vergöttert werde aber primär „Mané“ Garrincha. Brasiliens so unterschiedliche Fußballgötter eben.

Als Garrincha aktiv spielt, gibt es noch keine Gelben Karten und er wird ständig getreten und gefoult, ohne dass es geahndet wurde. Ob er heute besser wäre und eine große Nummer im verdichteten Mittelfeld des modernen Fußballs und im Blitzlicht der elektronischen Medien? Fraglich! In dem Moment, in dem Garrinchas Stern 1958 während der Weltmeisterschaft in Schweden aufgeht, sind es zuerst die Zuschauer in den Stadien, die begriffen haben, dass hier ein außergewöhnlicher Fußballer sein internationales Debüt feiert.

 

Er erfand Tricks, die keiner zuvor gesehen hatte

So etwas hat man bis dahin noch nicht gesehen, all die Tricks, die Finten, diese ursprüngliche, fast naiv anmutende Freude am Spiel. Er erfand Tricks, entwickelt andere weiter, macht intuitiv Dinge, die andere Spieler über Jahre einstudieren müssten.

Der Titelgewinn 1958, der das Trauma der im eigenen Land verlorenen WM von 1950 mildert, macht Garrincha fast über Nacht zur nationalen Identifikationsfigur. Er versammelt die Bevölkerung eines Landes hinter sich, das von einer politischen Krise in die nächste taumelt. Eine eigentlich stolze Nation, die sich aus eigener Kraft aus der portugiesischen Kolonialherrschaft befreit hatte. Die „Seleção“ eint das Volk. Und Garrincha wird verehrt, obwohl seine Schwierigkeiten mit dem Leben jenseits des Fußballplatzes offensichtlich sind. Früh schon beginnt er zu trinken, wohl auch, um die Schmerzen in seinen verkrüppelten Beinen zu ertragen. Er ist in mehrere Autounfälle verwickelt, kommt mit dem Geld nicht aus. Wenig erstaunlich also, dass Porträts Garrincha stets als genialen Fußballer, aber bescheidenen Geist darstellen.

Doch Garrincha ist anders – ein dem Alkohol verfallener empfindsamer Mensch, der sich auf dem Land wohlfühlt. Als er sich 1966 von seiner Frau und sechs Kindern trennt, um mit der skandalumwitterten Sängerin Elza Soares zusammenzuleben, die er bei der erfolgreichen WM 1962 in Chile kennengelernt hat. Die Liaison des Fußballkönigs mit einer Mulattin aus bitterarmen Verhältnissen, das entspricht im katholischen Brasilien nicht dem guten Ton. Das Volk auf den Straßen hingegen lässt nicht von seinem Idol. Und stürzt prompt in eine tiefe Depression, als Garrincha 1966 Abschied von der Nationalmannschaft nimmt. 1973 beendet er mit einem Abschiedsspiel im Maracanã seine Karriere. Und gerät bald in Vergessenheit.

Die schmale Rente reicht hinten und vorne nicht. Als er am 20. Januar 1983 als erst 49-Jähriger an einer Alkoholvergiftung, ohne einen Pfennig in der Tasche, stirbt, hinterlässt Garrincha mindestens 14 Kinder und ein Publikum, das sich nun wieder an ihn erinnert. Den Weg zum Grab säumen tausende Anhänger. Es ist kein Zufall, dass Garrinchas Tod zeitlich mit dem Ende jenes „futebol arte“ zusammenfällt, des klassischen brasilianischen Kunstfußballs, der den Fußball in spielerischer Vollkommenheit inszenierte.

Ein Jahr vor Garrinchas Tod, bei der WM 1982 in Spanien, ist die traumhaft aufspielende Nationalmannschaft Brasiliens um Zico, Sócrates und Falcão an den cleveren Italienern bereits im Achtelfinale gescheitert. Übrigens: Stehen Pele und Garrincha – die beiden außergewöhnlichsten Kicker Brasiliens – zusammen in der Nationalelf, geht kein einziges Spiel verloren. Garrincha muss in seiner Länderspielkarriere sowieso nur eine Niederlage hinnehmen – in seinem letzten Spiel für Brasilien (insgesamt 50 Einsätze, 12 Tore) beim WM-Vorrunden-Aus für den Titelverteidiger am 15. Juli 1966 in England gegen Ungarn (1:3).

Sein Grabstein auf dem Friedhof „Cemiterio Raiz da Serra“ von Rio de Janeiro trägt die Inschrift:

Descanse em paz, que era a alegria do povo – Mané Garrincha. (Dt.: Hier ruht in Frieden der, der die Freude des Volkes war – Mané Garrincha).

 

Erfolge

Nationalmannschaft Brasiliens:

Fußballweltmeister 1958, 1962

O’Higgins Cup: 1955, 1959, 1961

Oswaldo Cruz Cup: 1960

Botafogo:

Internationale Titel

World Champion Clubs (Paris Intercontinental Championship): 1963

International Quadrangular Turnier: 1954

Interclub Turnier Pentagonal Mexiko: 1958

International Turnier von Kolumbien: 1960

International Turnier in Costa Rica: 1961

Pentagonal (Mexiko): 1962

Goldenes Jubiläums Turnier des Fußballverbandes von La Paz: 1964

Ibero-Amerikanisches Turnier: 1964

Panamaribo Cup: 1964

Nationale Titel

Brasilianischer Meister: 1962 und 1964

Torneio Rio-São Paulo: 1962 und 1964

Interstate Cup Champions Club: 1962

Staatsmeisterschaft von Rio de Janeiro: 1957, 1961, 1962

Individuelle Titel (Auswahl)

WM Torschützenkönig: 1962

Bester Spieler der brasilianischen Meisterschaft: 1962

Bester Spieler Rio-São Paulo Turnier: 1962

Bester Spieler Interstate Club Champions Cup: 1962

Bester Spieler Staatsmeisterschaft von São Paulo: 1957, 1961, 1962

Brasilianische Ruhmeshalle des Fußballs

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